Zum Werk von Manfred Mohr

Manfred Mohrs künstlerische Entwicklung führt vom Jazz und Informel zur generativen geometrischen Kunst. Wichtige Impulse erhält er Mitte der 60er Jahre durch das Studium der Schriften Max Benses zur Aesthetik und findet in der Semiotik die entscheidende Orientierungsgrundlage für sein bildkünstlerisches Schaffen. Von ihr aus definiert sich ihm als Ziel der künstlerischen Gestaltung: die rationale Herstellung von Kunst. Dabei setzt Mohr seit 1969 Computer und Plotter als Hilfsmittel ein. Die Originalität seiner Arbeit liegt im gefundenen Algorithmus, den Computer und Plotter als methodische Vorrausstzung seiner künstlichen Kunst präzise berechnen und fixieren. Sie dienen ihm also dazu, über Spontaneität und Ausdruck hinauszugehen, was die Formentwicklung anbelangt, d.h. die Umsetzung originärer Ideen in ein Programm, das alle Möglichkeiten ihrer unterschiedlichen Verwirklichung enthält. Mohr setzt den Computer nicht ein, um fotorealistisch virtuelle Wirklichkeiten zu bebildern. Sein Interesse gilt der Systematisierung des Bildaufbaus und der Findung einer Bildzeichensprache, die aesthetische Zusammenhänge rational nachvollziehbar macht. In den Prozess der Zeichen-Erzeugung führt Mohr 1973 den Würfel als verbindende "Basisstruktur" ein. Durch die systematische Erforschung verschiedener Operationen an dieser "Urstruktur" entstehen neue, zweidimensionale Zeichen, die ohne Computer nicht hätten präzise konzipiert werden können. Diese Zeichen nennt Mohr "êtres- graphiques".

Die systematische Untersuchung "P-480/100101" gehört in die Werkphase der "Laserglyphs" (1991/92). Sie greift den sechsdimensionalen Hyperwürfel auf, eine Struktur, die sich der Vorstellung entzieht, jedoch mathematisch beherrschbar ist. Diese geometrisch festgelegte Struktur hat 32 Diagonalen. Die zwei Endpunkte einer jeden Diagonale liegen sich diametral in der Struktur gegenüber. Verbindet man solche diametralen Punkte innerhalb des komplizierten Netzwerks von Verbindungslinien, erhält man einen "Diagonal- Weg". Bei einem sechsdimensionalen Hyperwürfel hat jede dieser 32 Diagonalen 720 unterschiedliche "Diagonal-Wege". Eine der 32 möglichen Zeichnungen in einer gegebenen Rotation ist hier abgebildet. Die Zeichnung beinhaltet 720 "Diagonal-Wege".

Für Mohr sind "Computer-Graphiken... Ergebnisse eindeutig definierter Problemstellungen, wobei die detaillierten Analysen der Programmation logische und abstrakte Modelle visuell fassbar machen und Einblick in bisher tabuartig verdeckt gebliebene kreative Prozesse liefern". Bei Graphik "P-480/100101" besteht ein Kontakt zwischen der festen Ordnung des Rasters und der mehr oder weniger lockeren, Spielerischen Bewegung in den einzelnen Figuren. Sie können an Hieroglyphen erinnern. "Das aesthetische Ergebnis", so Mohr, "unterscheidet sich letztlich nicht unbedingt von einer Handzeichnung, was mich jedoch im Umgang mit der Maschine fasziniert, ist die Tatsache einer physischen und intellektuellen Ausdehnung meiner Selbst. Der logische Inhalt meiner Arbeit ist durch ein Programm vorbestimmt, es gibt nichts Unkontrollierbares, nichts Unentschiedenes, jede Linie, von der ich erwarte, dass sie sich verändert, wird ohne Irrtum im gewünschten Rahmen modifiziert. Es ist die absolute Sicherheit, die mich dabei reizt. Zwischen der Konzeption (Programm) und der Ausführung besteht eine zeitliche Unabhängigkeit, der semantische Aspekt meiner Arbeit verändert sich nicht, wann und wo auch eine Zeichnung ausgeführt wird".

© Marion Keiner