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Statement

In meiner künstlerischen Entwicklung komme ich nicht von der konstruktiven Kunst, sondern vom Tachismus und der Jazz-Musik her. In einem langen Bewusstseinsprozess, habe ich mich in den frühen sechziger Jahren von der spontanen Aussage gelöst und der Geometrie, d.h. einer konstruierbaren Aussage, zugewandt.

Es waren hauptsächlich die Schriften des deutschen Philosophen Max Bense und dem französischen Komponisten Pierre Barbaud, die mein Denken radikal verändert haben und mich mit völlig neuen Ideen in die Zukunft wiesen: Eine rationale Herstellung von Kunst!
Mein Interesse an einer Systematisierung des Bildaufbaues war so gross, dass ich bis heute das Erfinden von Regeln (Algorithmen) als den Ausgangspunkt und als die eigentliche Grundlage meiner Kunst sehe.

In meiner Arbeit geht es primär um das Herstellen von Zeichen (êtres graphiques). Sie entstehen immer als Resultat einer Berechnung.

Der logischer Inhalt ist sozusagen die Daseinsberechtigung und Entstehungsgeschichte zugleich. Es ist aber nicht unbedingt die Systematik die ich als Aussage in meiner Kunst aufzeigen möchte, sondern das visuelle Aufdecken eines hieraus resultierenden Zeichens. Dieses Zeichen trägt eine eigenständige aesthetische Information, deren Herkunft zwar grundlegend, aber nicht unbedingt wichtig ist.

Das Zeichen muss sich vom logischen Inhalt visuell loslösen können, um sich dann, als abstrakte Form alleine zu behaupten.

Mindestens aber, sollte ein Gleichgewicht aus logischem Inhalt (Herkunft) und aesthetischer Information (Ziel) erreicht werde.

Seit 1973 beschäftige ich mich in meiner Arbeit u.a. auch mit dem Stören der Symmetrie im Würfel. Die Struktur des Würfels als 'System' wurde dabei aber nicht in Frage gestellt.

Durch dieses Stören bzw. Auflösen der Symmetrie entsteht ein Generator neuer graphischer Aufbau- und Spannungsverhältnisse.

Als Resultate interessieren mich die zweidimensionalen Zeichen, die durch das Projizieren der Würfelkanten entstehen. Ich bezeichne diese auch als unstabile Zeichen, da sie eine visuelle Unruhe evozieren.

Die 'Kompositionsregelen' bauen selten auf bereits vorstellbaren Modellen auf, sondern auf abstakten und systematischen Prozessen.
Solche Prozesse sind meist eine Mischung aus festgelegten Regeln (wie Kombinatorik, oder ganz einfaches Abzählen wie 1,2,3, etc.) und parametrische Regeln, d.h. an bestimmten Stellen im Prozessablauf sind variable Entscheidungen zu treffen, zu denen u.a. auch Zufallsentscheidungen mit einbezogen werden.
Durch solche Weichenstellungen wird der Rechenablauf im Programm aufrecht erhalten und der Zufall, zu einer art Peitsche, die das Programm von einer Entscheidung zur anderen vorantreibt. Der Zufall soll ein emotions- bzw. wertfreies Auswählen garantieren und wird in meiner Arbeit folgendermassen eingesetzt:
(a) ja/nein Entscheidungen (b) auswählen aus mehreren möglichen aber gleichwertigen Elementen (c) aufteilen von Elementen nach statistischen Gesichtspunkten

Obwohl mein Arbeitsprozess rational und systematisch ist, bleibt er offen für unvorhergesehene Wendungen. Ähnlich einer Reise, liegen auch hier nur der Ausgangspunkt sowie eine theoretische Zielvorstellung fest. Was aber während der Reise passiert, ist oft unvorhergesehen und überraschend.

Mit solchen und ähnlichen parametrischen Regeln entsteht dann das eigentliche Bild als Resultat eines Prozesses. Meine Kunst ist aber keine mathematische Kunst, denn in meiner Arbeit hat die Mathematik nur Trägerfunktion, um eine Aussage Zu formulieren.

Ich erfinde sozusagen Regeln, die mein künstlerisches Denken und Fühlen reflektieren.

Diese Algorithmen können vielschichtig d.h. kompliziert und unübersichtlich werden. Um das daraus resultierende Problem zu meistern, wird in meiner Arbeit der Einsatz des Computers notwendig. Nur so ist es möglich, beliebig viele Regeln zu überlagern, ohne den Überblick zu verlieren.
Es versteht sich daher von selbst, dass die Resultate - meine Bilder also - nicht unbedingt auf den ersten Blick verständlich und lesbar sind. Die Information sitzt tief und erfordert vom Betrachter einen gewissen Aufwand d.h. eine Bereitschaft sich mit dieser Materie auseinanderzusetzen.

Jede Arbeit besteht aus einer Untergruppe die Teil einer festgelegten Struktur ist, und sich vom Würfel bis hin zum 6-D Hyper Würfel erstrecken kann.
Es ist dem Betrachter zwar nicht möglich die vollständige Struktur zu entziffern, aber er wird eine starke visuelle Kraft vermerken, die sozusagen alles zusammenhält. Diese Kraft rührt vom logischen Aufbau der dahinter liegenden Struktur her.
Dies ist ein kritischer Punkt: Einige Betrachter werden dadurch verunsichert und verwerfen diese unbekannte und 'inhumane' Kraft, andere dagegen, verzeichnen diese als eine visuell faszinierende und logisch verlässliche Basis.

Obwohl alle meine Arbeiten verifiziert und rational nach vollzogen werden können, heisst das nicht, dass kein Raum für Assoziation und Imagination vorhanden ist. Im Gegenteil, der rationale Teil meiner Arbeit beschränkt sich im Grunde nur auf die Herstellung, und was aus einer Arbeit erfahren, verstanden, gelernt, geträumt ... oder hineininterpretiert werden kann, liegt allein in der Phantasie des Betrachters.

Das Kunstwerk an sich ist nur Ausgangspunkt, Information über ein Ordnungsprinzip bzw. Weltbild eines Künstlers, das den Betrachter zur Weiterarbeit herausfordern möchte.



Manfred Mohr